Das Programm Alcochoix+ in der Romandie

Article pour Suchtspiegel présentant le programme Alcochoix+ et rédigé par Pascal Gache, Isabelle Girod et Jean-Félix Savary


Gache, P., Girod, I. & Savary, J.-F. (2008). Das Programm Alcochoix+ in der Romandie. Suchtspiegel

 

Das Programm Alcochoix+ in der Romandie

In der Romandie wurde das Programm Alcochoix+ für kontrolliertes Trinken aus Quebec adaptiert, das für eine bedingungslose Empathie gegenüber den KlientInnen und deren Wahlfreiheit steht. Das Programm besteht aus sechs Phasen, ein Handbuch unterstützt die KlientInnen beim Umsetzen ihres Vorhabens.

Pascal Gache, Isabelle Girod, Jean-Félix Savary

Die Wurzeln des Programms Alcochoix+

Seit der Publikation des Würfelmodells1 im Bericht «Psychoaktiv.ch» der Eidgenössischen Kommission für Drogenfragen EKDF (2006) hat sich für die Fachwelt die darin geforderte umfassende Berücksichtigung der Konsumproblematik konkretisiert.2 In der Tat weist dieser Ansatz zwei wichtige Neuerungen auf: Zum einen wird die Drogenpolitik nicht mehr dichotom, legale versus illegale Substanzen gedacht, zum anderen werden die verschiedenen Konsummuser einer Person zu berücksichtigt. Die Einführung der Kategorie "problematischer Konsum" ermöglicht es, sich über neue Instrumente Gedanken zu machen, die sich an eine bisher vernachlässigte Population richten. Die Alkoholfachwelt in der Romandie war sich dieser Lücken in der Sekundärprävention und bei der Versorgung dieser Menschen schon seit langem bewusst.

Deshalb interessierte sich der Fachverband Groupement Romand d’Etudes des Addictions GREA von Beginn an für diesen neuen Ansatz und organisierte im Januar 2007 eine Westschweizer Tagung zum kontroversen Thema des kontrollierten Trinkens. Der Erfolg der Tagung zeigte, dass bei den Suchtfachleuten in der Romandie grosses Interesse an diesem Thema besteht. In der Folge entstand ein enger Kontakt mit Forschenden des Centre Dollard-Cormier in Quebec (Kanada), die das Programm Alcochoix+ zum kontrollierten Trinken weiterentwickelt hatten, mit Unterstützung des dortigen Ministère de la Santé et des Services Sociaux.3

Das Programm Alcochoix+4 ist aus Forschungen über den kontrollierten Alkoholkonsum hervorgegangen, die in den 1970er Jahren vor allem in den USA begonnen hatten. Diese Studien waren bei den Suchtfachleuten auf grossen Widerstand gestossen, konnten aber von einem grossen Medienecho profitieren – dies vor allem aufgrund ihrer Resultate, die dem Dogma der Abstinenz als einzigem Therapieziel bei Alkoholabhängigen ein Ende bereiteten.5

Ein erstes Treffen zwischen Michel Landry vom Centre Dollard-Cormier und GREA fand im Mai 2007 in Paris statt. Dabei zeigte sich das übereinstimmende Interesse beider Partner an einer Anpassung des kanadischen Programms an die soziokulturelle Realität der Romandie. Die Fachgruppe Alkohol von GREA übernahm die Aufgabe dieser Anpassung, unterstützt von weiteren engagierten Alkoholfachleuten aus der Romandie. Zur gleichen Zeit testete das Centre neuchâtelois d'alcoologie CENEA in Neuenburg bereits das ursprüngliche Programm Alcochoix und konnte so bei der Anpassung des kanadischen Programms eine aktive Rolle spielen. In der Folge wurden ein BenutzerInnenhandbuch und ein Handbuch für Fachleute herausgegeben.

GREA bietet Ausbildungen für Betreuungspersonen an, deren Institutionen das Programm anbieten. Zurzeit bereiten mehrere Institutionen in der Westschweiz die Einführung von Alcochoix+ vor, bzw. bieten das Programm bereits an.6,7 

Die Philosophie des Programms Alcochoix+

Ziel des Programms Alcochoix+ ist, den Teilnehmenden das Vertrauen in ihre Fähigkeit zur Kontrolle ihres Alkoholkonsums zurückzugeben. Das Programm stützt sich dabei auf die humanistischen Theorien von Carl Rogers, die motivierende Gesprächsführung von Miller und Rollnick, die kognitiven Verhaltenstherapien und die Schadensminderung. Dieser Ansatz orientiert sich an den Fähigkeiten und der Autonomie der Betroffen und nicht an ihren Schwächen. Dies ermöglicht den Teilnehmenden, ihre Motivation und Selbstachtung zu stärken, indem sie selber für die Wahl ihrer Ziele und der nötigen Schritte dahin verantwortlich sind.

Die Betreuungspersonen des Programms versuchen nicht, die KlientInnen mit Diagnosen zu etikettieren. Sie haben einen bedingungslos positiven Blick (Empathie) auf ihre PatientInnen, vertrauen in deren Änderungsfähigkeit – egal was passiert – und gehen von ihrer Ehrlichkeit aus. Ein immer respektvoll bleibender Ton trägt zum Verstehen der Schwierigkeiten der KlientInnen bei. Während der ganzen Programmzeit wird das Schwergewicht auf die eigenen Kräfte der PatientInnen gelegt. Dank bedingungsloser Akzeptanz wird so die Freiheit zur Änderung ermöglicht.

Bei all dem ist wichtig, dass die Betreuungspersonen selber daran glauben, dass die Behandlung von Alkoholproblemen mit dem Ziel des kontrollierten Trinkens vereinbar ist. Sie müssen über Beratungskompetenzen sowie grundlegende Kenntnisse im Suchtbereich verfügen und über die spezialisierten Stellen in ihrem Umfeld Bescheid wissen.

An wen richtet sich das Programm?

Alcochoix+ ist ein Programm des kontrollierten Trinkens, das sich an Menschen richtet, die sich Sorgen über die Auswirkungen ihres Alkoholkonsums auf ihre Gesundheit und ihr Sozialleben (Anspannung, Aggressivität, mangelnde Konzentration am Arbeitsplatz usw.) machen und die ihre Trinkgewohnheiten ändern möchten. 

Am Anfang des Programms steht ein Standortgespräch, in dem überprüft wird, ob die Trinksituation des Klienten oder der Klientin eine Teilnahme am Programm erlaubt, wobei klar gemacht wird, was eine Teilnahme bei Alcochoix+ beinhaltet und welche Ergebnisse erwartet werden können. Den KlientInnen mit einer schweren Abhängigkeit wird von einer Teilnahme abgeraten. Sie entscheiden zusammen mit der betreuenden Person und aufgrund von deren Erfahrungen über ihre Teilnahme. Falls sie sich für eine Teilnahme entschliessen, wissen sie um ihre geringen Erfolgsaussichten.

Die Ziele des Programms

Mit Alcochoix+ erstellen die Teilnehmenden ein genaues Bild ihrer Trinkgewohnheiten und identifizieren die Situationen, die das Trinkverlangen auslösen. Das Programm ermöglicht es, Kontrollstrategien für das tägliche, wöchentliche und gelegentliche Trinken zu entwickeln und einen massvollen Alkoholkonsum einzuhalten.

Die Phasen des Programms

Das Programm besteht aus sechs Phasen, in denen die KlientInnen lernen, ihren Alkoholkonsum zu berechnen, die Zielmenge zu bestimmen und Strategien zu entwickeln, mit denen sie ihre Trinkgewohnheiten durchbrechen können. Nach dem Standortgespräch mit der betreuenden Person arbeiten die Teilnehmenden mit Hilfe eines Handbuchs weiter, wobei sie die Fachperson bei Bedarf jederzeit wieder konsultieren können. Personen, die das Programm selbständig durcharbeiten möchten, können dies nach der "freien Version" tun. Diese beinhaltet ein Gespräch mit einer Fachperson, in dem das Programm vorgestellt und eine Bilanz des Alkoholkonsums erstellt wird, worauf der Rest des Programms alleine absolviert wird. Alcochoix+ kann auch in der Gruppe mit einer Betreuungsperson durchgeführt werden.

Die verwendeten Methoden erlauben es den KlientInnen:

* sich des eigenen Alkoholkonsums bewusst zu werden

* die Zielmenge ihres Konsums festzulegen

* die Risikosituationen für übermässiges Trinken zu identifizieren

* Strategien zu entwickeln, mit denen der Konsum reduziert oder verhindert werden kann

* ihre Bedürfnisse anders zu stillen als mit Alkoholkonsum

* die neuen Trinkgewohnheiten langfristig beibehalten zu können.

Die verschiedenen Phasen können wie folgt zusammengefasst werden:

1. Sich vorbereiten und handeln

Unter Beibehaltung ihres gewohnten Alkoholkonsums üben die TeilnehmerInnen während zwei Wochen (wobei die Dauer nach Bedarf variieren kann):

* die konsumierten Alkoholeinheiten zu messen

* ihren Konsum aufzuzeichnen

* ihr Wissen über Alkohol und über die Folgen des übermässigen Konsums zu erweitern

* sich über ihre Lebensqualität klar zu werden

* ihr eigenes Verhalten zu überwachen, um Risikosituationen zu erkennen.

2. Ein Ziel erreichen

Während den darauf folgenden zwei Wochen (Durchschnittswert) üben sich die TeilnehmerInnen darin, die kontrollierte Menge einzuhalten und die Fallen zu meiden, die sie auf die alten Trinkgewohnheiten zurückwerfen könnten. In dieser Phase des Programms geht es darum:

* Strategien und Lösungswege in Risikosituationen kennen zu lernen. (Das Handbuch beschreibt 22 typische Risikosituationen und schlägt mögliche Verhaltensweisen vor, um ihnen zu begegnen.)

* auf die Person abgestimmte Lösungswege zur Vermeidung solcher Risikosituationen zu ermitteln

* das langfristige Ziel in Bezug auf den eigenen Alkoholkonsum festzulegen.

 

3. Am Ziel festhalten

Diese letzte Phase besteht darin, anstelle des Alkoholkonsums andere Möglichkeiten des Genusses zu suchen, die Rolle der Emotionen beim Trinken besser zu verstehen und einem Rückfall vorzubeugen. Sie ermöglicht es,

* an der eigenen Motivation zu arbeiten

* Risikosituationen zu antizipieren und sich Reflexe anzueignen, um ihnen zu begegnen.

Im Programm Alcochoix+ ist keine Nachbetreuung vorgesehen. Allerdings bieten gewisse BetreuterInnenteams eine solche systematisch an, wobei Häufigkeit und Dauer verschieden sind.

Anstelle einer Schlussfolgerung: einige Ergebnisse

Die Haltequote im Programm hängt mit der Erfahrung der Betreuungsperson und der gewählten Methode zusammen. So können die erfahrenen BetreuerInnen zweimal mehr Teilnehmende im Programm halten, während die KlientInnen, die das Programm nach der "freien Version" ohne Betreuung durchlaufen, dreimal häufiger abbrechen.

Aus einer Zufriedenheitsstudie aus Quebec aus dem Jahr 2004 bei 55 AbsolventInnen des Programms geht hervor, dass es 95% weiter empfehlen würden, 5% empfehlen es vielleicht und 89% sind der Ansicht, dass ihnen das Programm geholfen hat, ihre Trinkgewohnheiten zu ändern.

Das Programm Alcochoix+ erbrachte folgende Resultate: Männer senkten im Durchschnitt drei Monate nach Programmbeginn ihren Alkoholkonsum um 44% und tranken noch 19 Mal pro Woche (vor Programmbeginn 34 Mal), während Frauen einen durchschnittlichen Rückgang um 41% aufwiesen und ihren Konsum von 27 auf 16 Mal reduzierten. Nach einem Jahr hatten die Männer ihre neuen Trinkgewohnheiten beibehalten und die Frauen ihren Konsum sogar weiter vermindert, nämlich bis auf 14 Konsumationen pro Woche. 

(Übersetzung aus dem Französischen: Martin Reck)